22
Okt
2004

eins neun sieben fünf - I

hel_0967

spuren im sand. spuren in helsinki. spuren im leben.
schreibe über das jahr eins neun sieben fünf.

eins: eins-a-sommer. neun: ereignisse, die kein mensch aufgeschrieben hat. sieben: erinnerungen an glorreiche tage. fünf: erfahrungen fürs poesiealbum.

16
Okt
2004

Aus der Größten aller Provinzen

0406_newyork_taxi

Wiederkehrende Wege. Hier die Sim, dort der Broadway. Wie oft bin ich über den Asphalt, über das Kopfsteinpflaster der beiden Straßen gelaufen, vom Times Square ins Financial District, von der Paulinstraße zum Hauptmarkt. Durch Fußgängerzonen, weil ein Taxi zu umständlich, durch Straßenschluchten, weil keines zu bekommen war. Mitten durch die Stadt. Mitten durch die Menge. Hier wie da. Wiederkehrende Wege. Sich gleichende Wege. Am Wegesrand Sehenswürdigkeiten, Kaufhäuser, Restaurants. Dreikönigshaus, Flat Iron Building, Banana Republic, Karstadt, Römergrill, The Bagdad Deli. Durch die Provinzstadt an einem Vormittag im September, durch den Big Apple an einem Nachmittag im Oktober. Nächte durchgetanzt, hier wie da, hüben wie drüben, diesseits und jenseits. Auch wenn aus den Boxen die gleiche Musik klang, der Rhythmus war in Manhattan ein anderer, der Beat ging am Hudson mehrere Herzschläge schneller, die Töne um den Central Park schriller. Man blieb nicht stehen, um das Empire State Building in seiner ganzen Wucht zu bewundern, man hält aber inne, um den Pathos der Porta Nigra zu berühren.

Trier kannte niemand, New York wollten alle. Ich wohnte in der Dreiundzwanzigsten, Ecke Achte, Chelsea. Schräg gegenüber dem gleichnamigen Hotel. An der Ecke ein chinesischer Händler mit allumfassenden Warenangebot und niemals schließenden Öffnungszeiten. Gleich nebenan der spelunkenhafte Einstieg in die Sub, die mich jeden Morgen zur Fifth Avenue brachte. Mein Büro war im 36. Stockwerk mit dem besten Blick auf St.-Patricks-Cathedral. Gegen zwei am Nachmittag war die allentscheidende Frage nach der Abendgestaltung unausweichlich: Welcher Club hat aufgemacht, gibt es bei Lucky Chang einen Tisch, was zieht man in die Gold Bar an, muss sich überhaupt neu eingekleidet werden, gibt es eine Vernissage als Schaulaufen aller interessanter Menschen in dieser Stadt, oder eine Broadway-Charity, auf der Vanessa Williams für die Aidshilfe küsst, und wie schaffe ich es, eine Einladung in die Webster Hall zu ergattern, um mir zwischen den Beinen von Tabledance-Ladys hindurch und über Stripboys hinweg Die Blechtrommel anschauen zu dürfen? Die Antworten mussten bis elf Uhr gegeben sein, denn sonst war die Nacht gelaufen und es blieb Fernsehen on demand als letzter Ausweg. Zwanzig Dollar Eintritt in fast jeden Club, Jägermeister für sechs Dollar aufwärts, die Flasche 92er QbA von Dr. Wagner aus Saarburg kostete 17 Dollar im Liquor um die Ecke, in die Papiertüte und hoch hinaus auf das Dach des World Trade Centers, um dabei zu sein, wenn die Großstadt zu Füßen ihre Lichter anmachte und einem für einen kurzen Augenblick die Gewissheit gab, der Stiel des Big Apples zu sein. Wenn alle Stricke rissen, hieß es Call 1-800-Roberta, die Barfrau, die wohl mit jedem Türsteher der Stadt geschlafen hatte, was schlichtweg niemanden interessierte, und jeden Code für jede Party kannte. DeeeLite röhrte auf Hochhausdächern, man führte in der Abendsonne seinen Alligator Gassi an der Strass besetzten Leine, soviel Stil muss sein, und eine Trillerpfeife ersetzt den mühsamen Pfiff nach einem Taxi, so viel Laut musste sein. Am Wochenende war es die schwierige Frage, ob nach Long Island, in die Hamptons oder nach Miami. New York vibrierte wie keine andere Stadt. Man hatte den Aidsschock überwunden und frönte in einem kollektiven Hedonismus mit einer allabendlichen Clapping Crowd von 17 Millionen leicht zu begeisternden Menschen.

Südbad, Nordbad, Stadtbad. In der Provinz gab es weniger Alternativen am Wochenende oder am Wochentag. Eine Kneipe am Pferdemarkt, in der man auf einen Blick alle Bekannten und alle Seelenverwandten traf, sprach und gehört hatte. Spätestens um elf waren alle Geschichten erzählt. War klar, wer mit wem in welcher Konstellation geschlafen hatte und welche Verwicklungen sich daraus ergeben werden. Seit halb sieben waren die Läden dicht, da ließ sich auch keine Hettlage-Verkäuferin erweichen. „Gibet nit, han ma nit, kommt auch net mehr rein“, die Sätze, die zwischen Sein und Dasein unterschieden, zwischen großer, weiter Welt und Moselstrand Grenzen zogen. Das Theater mühte sich durch drittklassiges Dreispartentum und versuchte sich in einem abgesetzten 42nd-Street-Musical. Das Leben war unaufgeregt, beschaulich, gemütlich, eingerichtet wie ein deutsches Wohnzimmer, in dem die Schrankwand seit Jahren an der gleichen Stelle steht und das Sofakissen als Inbegriff aller Innovation, aller Progressivität, aller Verruchtheit und allen Verrücktseins ohne Handkantenschlag auskommen muss. Dampfende Gullydeckel gibt es nicht, die Straßen sind sauber geleckt, die Zebrastreifen wohl abgezirkelt, man stritt sich über eine langweilige Ansammlung von Bäumen auf einem unansehnlichen Parkplatz inmitten der Stadt und glaubte mitunter selbst daran, der Nabel der Welt zu sein, wenn nicht der Welt, dann doch mindestens der Galaxie, und wenn es dort zu eng war, dann zumindest der Mittelpunkt des Universums und wenn das nicht ausreichte, blieb noch immer das Moselland, das liebliche Moselland, mit all seinen sanften Hügeln, seinen grünen Tälern, seinen Fernsichten und seinen Naheinstellungen. Ein jeder war ein Prinz in der Provinz – nur dass dies niemanden interessierte. Und mittendrin eine Stadt, die sich mit Verweisen auf imperiale Vergangenheit gegen jeden Zeitgeist stemmte, eine Stadt, die sich lasziv zurücklehnte, um alle Trends zu verpassen, eine Stadt, die vom Jetset träumte und nie verwandt, dass sie auf einem Eifelacker gelandet war. Damals.

Heute. Ich habe mich lange dagegen gesträubt, nach dem Elften September in die Stadt zwischen Hudson und East River zu reisen, so sehr, wie ich mich dagegen sträube, in die Stadt am Moselstrand zurückzukehren. Die Neugierde obsiegt hin und wieder. Heute. Jenseits eines Meeres haben die Trümmer der Zwillingstürme den Beat der Stadt unter sich begraben, den Rhythmus zugeschüttet, Himmel stürmende Kreativität nivelliert, eingeebnet. Rauch, Ruß, Schutt, Schatten. Die Stadt röchelt den klaustrophobischen Klang einer Beatmungsmaschine, liegt in Agonie, frönt in Paranoia und verweigert sich einer Therapie. Aus übertriebenem Sicherheitswahn legt sich jeder New Yorker einen Hund zu, besser noch zwei. Am Nachmittag geht man mit ihnen Gassi zum Union Square oder an einen anderen Platz, wo die Stadt ein Hundegehege abgetrennt hat. Auslauf. Zehn mal zehn Meter, mehr gibt es nicht. Mehr braucht es nicht. Die Köter verbringen die Minuten fickend, bis Herrchen sie wieder durch den Asphaltdschungel nach Hause bringen, wo sie kläffend, bellend und jaulend den Abend beginnen. Geheule einer geschundenen Stadt. Die Abende und Nächte sind lang geworden in New York, nachdem das neue Stadtoberhaupt am letzten Märzsonntag dieses Jahres das Rauchen in den Clubs, Pubs und Bars verbot. Seitdem stehen die Menschen vor den Gaststätten und verstopfen den Gehsteig, verwenden ihre Kreativität auf das Dochrauchen und nicht auf neue Trends und neue Stile. Im Max Fish südlich der Houston Street trifft man sich zum Billardspiel in steriler Luft, wenige Ecken weiter das Matrix, in dem eine Band spielt. Das Publikum steht stocksteif, seit dem nach einer neuen Idee des Stadtvaters das Tanzen nur noch in ausgewiesenen Clubs mit einer Lizenz für Tanzveranstaltungen erlaubt ist. Die Jugend ertränkt sich mit stumpfen Blicken und flüchtet ins Shoppen, Flipflops mit Pfennigabsatz, FCUK-T-Shirts mit sinnentleerten Sprüchen oder anderen Designerklamotten. Konsum ist ungefährlich, Konsum ist erlaubt, Konsum ist clean. So sind auch die Kinder von New York, die sich nicht einmal dagegen wehren, dass der Bürgermeister sie auffrisst und die Metropole in die schlimmste aller Provinzen verbannt, die geistige, die kreative, die verharrende, die still stehende.

Lucky Chang ist ein Touritempel geworden, die Gold Bar hat im Januar für immer geschlossen, das Empire State Building lässt sich Aufzugfahrten zum Wolkenkratzerdach teuer bezahlen, Clubbesuche sind Stehveranstaltungen im Freien geworden. Der Mann mit dem Alligator gilt als apokalyptischer Reiter noch depressiverer Zeiten. Im deutschen Fernsehen laufen schlecht synchronisierte Fernsehserien, die einer Retrospektive New Yorks vor Michael Bloomberg und dem Elften September gleichen. Die Stadt ist auf ein halbstündiges Fernsehformat geschrumpft, das beweist, dass Provinzialität machbar ist, an jedem Ort zu jeder Zeit, in jedem Universum, in jeder Galaxie, auf jeder Eifelscholle, an jedem Hudsonstrand. Nun ist die Stadt auf der Flucht vor sich selbst. New York erinnert an einen großen Apfel in Luftball-Design, aus dem die Luft gelassen wurde. Und Trier bestaunt ungläubig die Trümmer der eigenen Vergangenheit, die sich in jedem Winkel der Stadt auftürmt, unter jedem Pflaster der Stadt pocht, in jeder Straße der Stadt ihr Echo sucht. Vergebens.

Melancholie. Aus der Weltlosigkeit in der Welten Mittelpunkt: Vor zehn Jahren zog es mich in ein Appartement mit Gartenblick schräg gegenüber vom Chelsea Hotel. Unzählige Nächte schlief ich im Getöse der Großstadt. Reprise: Vor einem Jahr schlief ich in der Norfolk Street südlich der Houston. Das Fenster zu einem Lüftungsschacht. In Trier habe ich wohl die meisten Stunden meines Lebens verbracht, obwohl ich in der Stadt nur eine einzige, eine einzelne, eine kurze Nacht geschlafen habe. Südallee Ecke Friedrich-Wilhelm-Straße. Die Fenster nach Westen mit Blick auf die Barbarathermen, nach Norden hinaus auf die mitleidige Kulisse einer Provinzstadt. Der Wecker klingelte hier wie da gleich. Am Morgen. Laut und schrill.

11
Sep
2004

wo warst du eigentlich

nyc

es bleibt die erinnerung an unzählige abende auf dem südturm der zwei hochhäuser. die erinnerung an einen herbst, dessen sonnentage ungezählt blieben. die erinnerungen an den glanz, wenn die stadt die lichter andrehte. die erinnerung an jenen südamerikaner, der mich eines abends, kurz bevor dieses foto entstand, nach der uhrzeit fragte. die sicht, die luft, das über den dingen stehen, das gefühl, der stiel des big apple zu sein, die unbesiegbarkeit für den moment, für den einzigen augenblick, für die ewigkeit, gegen alle mächte des universums. es bleibt lediglich die erinnerung. und nichts außer ihr.

drei jahre zuvor: der wecker klingelte. ich stand auf. was ich den abend zuvor gemacht habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. ims, die fürstin vom salzberg hatte mir wieder einmal obdach gewährt, wie so manche nacht und manchen tag im jahr 2001. vielleicht war es der abend zuvor, als ich mit claudia in einer szenekneipe abstürzte. sie betrank sich an swimming pool, ich trank weißweinschorle mit campari. die ganze nacht lang. jedenfalls trudelte ich am nächsten morgen in den tag hinein. einfach so. ein schnelles frühstück irgendwo, irgendwann im vorbei gehen. ich bin wohl mit der ubahn zur arbeit gefahren. vom sechsten in den achten an der grenze zum ersten. ich schwankte durch den morgen in richtung tag. vielleicht war ich aber auch am abend zuvor mit andrea in einem lokal in der innenstadt ein sandwich essen. am morgen danach war der kühlschrank jedenfalls leer. nur eine flasche bier und eine flasche prosecco. nach alter manier. die fürstin vom salzberg war bereits am sonntag zum wandern ins dachsteingebirge aufgebrochen. ich war allein, obwohl eine stadt um mich herum war.

gegen mittag saß ich an einem schreibtisch im achten wiener stadtbezirk - direkt gegenüber vom rathaus der österreichischen hauptstadt. mit andrea. daran erinnere ich mich genau. es war ein sonniger tag, es war ein milder tag, vielleicht auf der ganzen welt, denn der helle schein, die milde temperatur, die laue luft brannten sich in mein gedächtnis. ich war mittlerweile ziemlich quietschig, weil ich am nächsten morgen nach london zum shoppen wollte. dort wollte ich mich auch mit eirik aus oslo treffen, ein wiedersehen nach dem schrecklichen absturz in einer londoner hotelbar zehn wochen zuvor. daran erinnere ich mich auch.

andrea und ich tranken gemütlich kaffee und blinzelten auf die sonne. wir arbeiteten konzentriert, sehr konzentriert. das radio war aus, das mittagessen fiel aus. wir waren schneller fertig, als wir dachten, und ich freute mich auf den freien nachmittag. ein kollege kam und sagte, dass ein flugzeug, wohl eine sportmaschine ins wtc geflogen sei. wie damals. ich beschrieb den herrlich blick vom wtc, abends, die sehnsucht, wenn es nacht wird über manhattan. noch ein kaffee. andrea und ich gingen.

an der straßenkreuzung verabschiedeten wir uns, sie in den siebten und ich in den sechsten. wir küssten uns auf die wangen, ein mal, zwei mal, drei mal, vier mal. es war ein ungewisser abschied, denn wir wussten nicht, wann wir uns wieder sehen werden. an diesem spätsommertag. wir haben uns nie wieder gesehen. nur einmal kurz miteinander telefoniert. ich lief zu fuß zurück in den sechsten, durchs museumsquartier, die mariahilfer hoch, vielleicht auch an dieser szenekneipe vorbei. ohne ziel und wenn und aber rüber zur wienzeile, zum naschmarkt, zum salzberg. in einem megastore kaufte ich mir zwei cds. ich habe vergessen welche. irgendwo ein sandwich oder ein brötchen oder ein stück kuchen. ein hemd, ein weißes hemd kaufte ich mir bei martinique auf der mariahilfer. dann zum salzberg.

irgendwann hatte ich die 105 stufen gemeistert. aus reflex machte ich den fernseher an. es war halb vier uhr nachmittags und ulrich wickert war auf dem schirm. ich ging zur toilette und hörte seine nachrichten. ich blieb eine ewigkeit auf dem klo hocken. eine ganze ewigkeit. starrte vor mich hin. ich wollte gott und die welt anrufen und sagen, dass es mir gut ginge. aber warum sollte es mir nicht gut gehen? ich war in wien. nicht in new york.

...

meine große liebe oder meine gedachte große liebe oder meine erhoffte große liebe war in new york. ich probierte unzählige mal anzurufen. ich rannte wie ein irrer durch eine wohnung, die mir nicht gehörte, schaute in einen fernseher, der mir nicht gehörte, trank aus einer tasse, die mir nicht gehörte, war wohl in einer welt, zu der ich nicht gehörte, mit nachrichten, die ich nicht hören wollte. mehr als achtundvierzig stunden kein lebenszeichen, dann ein anruf, von dem ich nicht weiß, ob er aus new york, aus friedberg oder aus düsseldorf kam. so fing das ende an. ich wollte nicht zu abend essen.

...

und ich wollte den abend nicht alleine sein. claudia war irgendwo, doch nicht zuhause. die fürstin vom salzberg im dachsteingebirge. von andrea hatte ich nur eine wirre telefonnummer, die nicht stimmte. ich rief achim an, ein ganz entfernter bekannter. er sagte, komm' vorbei. ich lief ein taxi suchen. ich lief ein taxi suchen. ich lief, ich ging, ich lief. ich lief durch die stadt, war im plötzlich im dritten und suchte überall nach taxis. die stadt war leer und doch voller menschen. ich glaube, am hochstrahlbrunnen fand ich eine mietdroschke. der fahrer war ziemlich verwirrt und fand die straße nicht. dann doch. ich kaufte bier in einer eckkneipe. achims freundin kam. wir koksten uns das hirn aus der rinde. wir koksten uns in eine welt ohne diesen schmerz und ohne diese verzweiflung. im zwielicht der dämmerung fuhr ich zurück zum salzberg.

...

ich bestellte ein pauschalistentaxi für drei uhr am morgen. fand keine sekunde schlaf. diese stille. diese dunkelheit. diese schreie.

...

am nächsten morgen war der luftraum über london gesperrt. ich wurde nach frankfurt ausgeflogen. am flughafen kaufte ich mozartkugeln.

10
Sep
2004

rasenmähen und seine folgen

rasenwalberberg

deutschland mittags um halb zwei. zeit der mittagsruhe, des vogelgezwitschers über sachte im winde wehenden wipfeln, zarte wolken, die gen osten ziehen, sonnenstrahlen mit der kraft zur reife gebrachter tomaten. hupende autos und dann, dann dieses geräusch, dieses monotone brummen, dieses stottern, gefolgt von geraspel, von dem zerstörenden geräusch geköpfter grashalme, dem krach zermalmender rasenobliegschaften, wie tannenzapfen, äste, haselnüsse. deutschland mittags um halb zwei, das ist die stunde der pedikürten rasenflächen.

zunächst grobmotorisch mit dem benziner, bei dem die zündkerzen wieder einmal verdreckt sind, oder dem stromer, bei dem das kabel nicht lang genug ist, oder den anderen mähern, deren rasenauffangaufsatzbeutel das fassungsvermögen eines fingerhuts hat, weshalb das geräusch in regelmäßigen abständen verstummt, um von einem fluch abgelöst zu werden. rasenmähen ist archaisch, ist männersache, ist schweißtreibend, ist mord, ist verwesung, ist hingemetzelte natur und blütenbracht. ist rasenmähen auch erotisch?

rasenmähen ist macht. wer den rasen mäht, entscheidet über die länge der bleibenden halme. rafft dahin, was er nicht aufgebaut hat. kann auswählen, ob ein zartes gänseblümchen die abendsonne genießen oder wie die kleeblume zerhäkselt auf dem kompost landet.

rasenmähen ist reichtum. den nachbarsjungen gefragt, warum sie ausgerechnet immer samstags kurz vor acht die scheinbar ewig währende prozedur des grasköpfens starten würden, antwortete er, er könne schließlich auch nichts dafür, dass das dem vater gehörende grundstück so groß sei. wer sagt, er mäht den rasen, verrät, dass er müßiggang genug hat, um sich einer langweilig besäten fläche mit hingabe zu widmen. verrät, dass sein grund und boden nicht an zimmerwänden endet, macht glauben, dass wohnen mit balkon und aussicht eine errungenschaft von menschen ohne ausreichenden dispokredit ist.

macht und reichtum sind zwei bekannte bausteine der erotik.

8
Sep
2004

ein kompendium über die bedeutung der limonade in der alltagskultur

kja

trinkt mehr limo!

limonade, das ist jenes klebrige, meist gelborange, süße, blubbernde, plastikflaschen entrinnende flüssigkeit, die jenen hauch der erinnerung an längst vergangene kindheitstage offenbart, wie es kola nie schaffen wird. denn kola war gift und limo war griffig. in der geriffelten flasche, in der glatgünen flasche. auf jedem fest, samstags und sonntags hin und wieder mit einem schuss eierlikör. das gab eine menge schaum und braungelb verdreckte gläser, aber der geschmack, der geschmack, den dieser mix durch einen strohhalm, einem echten strohhalm dem gaumen gab, war mehr als fernweh, als sehnsucht, als unsterblichkeit. es war die limo meines lebens. die limo meiner kindheit. limo ging immer, kola war tabu.

und heute steht die limo geschmäht und geächtet in der ecke. kein retrowind, der sanft umfächelt, keine hipmarke, die an konsumgeile kids in verschwitzten tanktops verscherbelt wird, kein held, der in der stunde des allerhöchsten pathos zur limoflasche greift. wir schämen uns der limo, gehen im supermarkt unachtsam an den sich stappelnder kästen vorbei, suchen nach anderen drinks und kicks, wollen unsere kindheit vergessen, die eigene kindheit einer essotankstelle gleich rechts am straßenrand liegen lassen. wir wollen vorwärts kommen im leben. dabei hindert limo, sie steht im weg. die limoflasche ist das stoppschild einer schneller werdenden gesellschaft.

dabei ist limo erinnerung und wir alle wissen, dass keine gesellschaft, keine gemeinschaft und kein gemeinwesen ohne die erinnerung auskommt, erinnerung an erfolge, an niederlagen, an den sonnenaufgang und den tagesabschluss, an die unendlichkeit einer nacht unter der bettdecke, während im vorhof des daseins blitze eines schauerlichen gewitters zuckten. limo ist die kindheit ohne die es kein erwachsenwerden und erwachsensein geben kann und geben wird.

limo gibt es inzwischen als blueberry, als chemiegeiler geschmackskiller und blauezungenfärber, verfälscht, abgeflascht in pet, steril. dabei hatte die limo als einzige das zeug zum wahren helden, die an der nächsten flussbiegung brigittediätgeplagte frauen abknallen, avondamen zur tupperparty einladen und im sonnenuntergang von einer besseren, einer klebrigen, einer süßen, einer gelborangen welt träumen, einer welt der wahren werte: denn limo gibt es nicht als limo light.


während der autor die nächste limoflasche öffnet, bleibt zeit für einen limohaften song: benjamin biolays rose kennedy.

6
Sep
2004

ist eros immer und überall dabei?

hel_0983

erotische kunst, reden wir über erotische kunst, in der besenkammer gibt es recht viel davon, wie im wahren leben, immer und überall lässt sich ein phallussymbol finden, beim olympischen feuer, beim parkverbotsschild, bei fahrkartenentwerter in einem trierer stadtbus, so es solche dort überhaupt gibt, oder in einem zarten grün, in einem harten grün, in einem lindgrün, in einem welkgrün, in einem grünbraun, in einem gelbgrün, in grün an sich, in grüner soße, in der grünen minna. ist erotik also grün? oder kann erotik auch grün sein?. welche farbe hat eros, wenn er denn überhaupt sich einer farbe zuordnen lässt.

es sind dies die fragen, die für gewöhnlich an einem sonnigen montag morgen in der besenkammer auftauchen.

genauer betrachtet ist es jedoch ein finne, ein finne, nichts als ein finne, ein mensch mit finnischer staatsbürgerschaft, einwohner der hauptstadt helsinki, der in einem verregneten sommer vergaß den rasen im dortigen olympiastadion in form zu schneiden, vielleicht zu trocknen, vielleicht zu kultivieren, vielleicht ward dieser finne oder diese finnin seit tagen nicht mehr im olympiastadion gesehen. zurück blieb erotische kunst auf dem grün in der mitte. in der form und in den farben eines verwelkenden rasens.

5
Sep
2004

raus und auf die schilder geachtet

toc

das erste straßenschild an der kreuzung gleich hinter der besenkammer. pflicht oder wahrheit, der ort hieß bis in die fünfziger "hot springs", dann kam eine depperte fernsehsendung des weges, bot irgendeinem kaff geld, wenn es seinen namen ändern würde, und hot springs tat es. irgendwann wird dort ein wegweiser stehen und nach palmolive weisen, oder zurück in die besenkammer, in die besenkammer, in die einzig seelig machende besenkammer.

der startpunkt ist hier

er wankte zum start, unsicher, ob jenseits der besenkammer...

ach was, rief der administrator und klickte auf "okay"
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aus der besenkammer in die weite welt

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