wo warst du eigentlich

es bleibt die erinnerung an unzählige abende auf dem südturm der zwei hochhäuser. die erinnerung an einen herbst, dessen sonnentage ungezählt blieben. die erinnerungen an den glanz, wenn die stadt die lichter andrehte. die erinnerung an jenen südamerikaner, der mich eines abends, kurz bevor dieses foto entstand, nach der uhrzeit fragte. die sicht, die luft, das über den dingen stehen, das gefühl, der stiel des big apple zu sein, die unbesiegbarkeit für den moment, für den einzigen augenblick, für die ewigkeit, gegen alle mächte des universums. es bleibt lediglich die erinnerung. und nichts außer ihr.
drei jahre zuvor: der wecker klingelte. ich stand auf. was ich den abend zuvor gemacht habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. ims, die fürstin vom salzberg hatte mir wieder einmal obdach gewährt, wie so manche nacht und manchen tag im jahr 2001. vielleicht war es der abend zuvor, als ich mit claudia in einer szenekneipe abstürzte. sie betrank sich an swimming pool, ich trank weißweinschorle mit campari. die ganze nacht lang. jedenfalls trudelte ich am nächsten morgen in den tag hinein. einfach so. ein schnelles frühstück irgendwo, irgendwann im vorbei gehen. ich bin wohl mit der ubahn zur arbeit gefahren. vom sechsten in den achten an der grenze zum ersten. ich schwankte durch den morgen in richtung tag. vielleicht war ich aber auch am abend zuvor mit andrea in einem lokal in der innenstadt ein sandwich essen. am morgen danach war der kühlschrank jedenfalls leer. nur eine flasche bier und eine flasche prosecco. nach alter manier. die fürstin vom salzberg war bereits am sonntag zum wandern ins dachsteingebirge aufgebrochen. ich war allein, obwohl eine stadt um mich herum war.
gegen mittag saß ich an einem schreibtisch im achten wiener stadtbezirk - direkt gegenüber vom rathaus der österreichischen hauptstadt. mit andrea. daran erinnere ich mich genau. es war ein sonniger tag, es war ein milder tag, vielleicht auf der ganzen welt, denn der helle schein, die milde temperatur, die laue luft brannten sich in mein gedächtnis. ich war mittlerweile ziemlich quietschig, weil ich am nächsten morgen nach london zum shoppen wollte. dort wollte ich mich auch mit eirik aus oslo treffen, ein wiedersehen nach dem schrecklichen absturz in einer londoner hotelbar zehn wochen zuvor. daran erinnere ich mich auch.
andrea und ich tranken gemütlich kaffee und blinzelten auf die sonne. wir arbeiteten konzentriert, sehr konzentriert. das radio war aus, das mittagessen fiel aus. wir waren schneller fertig, als wir dachten, und ich freute mich auf den freien nachmittag. ein kollege kam und sagte, dass ein flugzeug, wohl eine sportmaschine ins wtc geflogen sei. wie damals. ich beschrieb den herrlich blick vom wtc, abends, die sehnsucht, wenn es nacht wird über manhattan. noch ein kaffee. andrea und ich gingen.
an der straßenkreuzung verabschiedeten wir uns, sie in den siebten und ich in den sechsten. wir küssten uns auf die wangen, ein mal, zwei mal, drei mal, vier mal. es war ein ungewisser abschied, denn wir wussten nicht, wann wir uns wieder sehen werden. an diesem spätsommertag. wir haben uns nie wieder gesehen. nur einmal kurz miteinander telefoniert. ich lief zu fuß zurück in den sechsten, durchs museumsquartier, die mariahilfer hoch, vielleicht auch an dieser szenekneipe vorbei. ohne ziel und wenn und aber rüber zur wienzeile, zum naschmarkt, zum salzberg. in einem megastore kaufte ich mir zwei cds. ich habe vergessen welche. irgendwo ein sandwich oder ein brötchen oder ein stück kuchen. ein hemd, ein weißes hemd kaufte ich mir bei martinique auf der mariahilfer. dann zum salzberg.
irgendwann hatte ich die 105 stufen gemeistert. aus reflex machte ich den fernseher an. es war halb vier uhr nachmittags und ulrich wickert war auf dem schirm. ich ging zur toilette und hörte seine nachrichten. ich blieb eine ewigkeit auf dem klo hocken. eine ganze ewigkeit. starrte vor mich hin. ich wollte gott und die welt anrufen und sagen, dass es mir gut ginge. aber warum sollte es mir nicht gut gehen? ich war in wien. nicht in new york.
...
meine große liebe oder meine gedachte große liebe oder meine erhoffte große liebe war in new york. ich probierte unzählige mal anzurufen. ich rannte wie ein irrer durch eine wohnung, die mir nicht gehörte, schaute in einen fernseher, der mir nicht gehörte, trank aus einer tasse, die mir nicht gehörte, war wohl in einer welt, zu der ich nicht gehörte, mit nachrichten, die ich nicht hören wollte. mehr als achtundvierzig stunden kein lebenszeichen, dann ein anruf, von dem ich nicht weiß, ob er aus new york, aus friedberg oder aus düsseldorf kam. so fing das ende an. ich wollte nicht zu abend essen.
...
und ich wollte den abend nicht alleine sein. claudia war irgendwo, doch nicht zuhause. die fürstin vom salzberg im dachsteingebirge. von andrea hatte ich nur eine wirre telefonnummer, die nicht stimmte. ich rief achim an, ein ganz entfernter bekannter. er sagte, komm' vorbei. ich lief ein taxi suchen. ich lief ein taxi suchen. ich lief, ich ging, ich lief. ich lief durch die stadt, war im plötzlich im dritten und suchte überall nach taxis. die stadt war leer und doch voller menschen. ich glaube, am hochstrahlbrunnen fand ich eine mietdroschke. der fahrer war ziemlich verwirrt und fand die straße nicht. dann doch. ich kaufte bier in einer eckkneipe. achims freundin kam. wir koksten uns das hirn aus der rinde. wir koksten uns in eine welt ohne diesen schmerz und ohne diese verzweiflung. im zwielicht der dämmerung fuhr ich zurück zum salzberg.
...
ich bestellte ein pauschalistentaxi für drei uhr am morgen. fand keine sekunde schlaf. diese stille. diese dunkelheit. diese schreie.
...
am nächsten morgen war der luftraum über london gesperrt. ich wurde nach frankfurt ausgeflogen. am flughafen kaufte ich mozartkugeln.
theobalds_schrift - 11. September, 10:51
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